The Other Side Of The Wind stellt zwei Stile einander gegenüber: Den Vérité-Stil, bei dem Dialoge scheinbar improvisiert werden, rau und dokumentarisch gefilmt, ohne Orientierung in den Charakterdynamiken. Und den betont künstlerischen Stil des alten Regissuers Jake Hannaford, gespielt von John Huston, der eine Investoren-Party schmeißt, um seinen neuesten unvollendeten Film vorzuführen und im besten Fall Geld für dessen Vollendung zu bekommen. Dieser Film im Film um Oja Kodar, die allein und nackt durch urbane Kulissen wandert, wirkt durch seine Rätselhaftigkeit und psychoanalytische Symbolik wie eine Parodie auf selbstwichtiges Kunstkino. Aber Welles hat diese Szenen mit großem Ernst gedreht und einige hypnotische Sequenzen hinbekommen (Höhepunkt ist eine klaustrophobische Sexszene im Auto). Hinter der Maske Jake Hannaford erlaubt sich Welles die Freiheit, an sein eigenes Künstlertum zu glauben und sich zugleich vom Zwang der Vermarktbarkeit von Filmen zu lösen.

Jeder Film kostet Geld und muss deshalb irgendeinen Markt und irgendwelche Geldgeber befriedigen. Dazu kommen irgendwelche Stars, die an ihrem Öffentlichkeitsbild feilen und irgendwelche Manager, die aus Angst um ihren Job irgendwelche „Ideen“ kriegen, und viele, viele andere Parteien, die sich erbitterte Stellungskriege liefern. Das ist überall dort so, wo an der Entscheidung, ob ein Film grünes Licht bekommt oder nicht, viele Manager beteiligt sind. Diese Manager sind Executive Producer, Marketinganalysten, PR-Experten, Studioanwälte und so weiter. Leute, die weder Ahnung von Filmen haben, noch überhaupt wissen, wozu sie eingestellt wurden. Um die extrem gut bezahlte Präsenz dieser Menschen zu rechtfertigen, werden Meetings einberufen, die im besten Fall Geldverschwendung sind. Meistens wirken sie aber schädlich auf den Film, weil sich die Anwesenden dazu genötigt sehen, mit einem „Ergebnis“ aus dem Meeting zu gehen, das dann beispielsweise so aussieht, dass neue Drehbuchautoren für sinnlose Überarbeitungen angeheuert werden, oder dass ein Termin für eine neues Meeting vereinbart wird, damit bis dahin jeder noch mal „in sich gehen“ und „brainstormen“ kann. Mit den Gehältern dieser Manager wird viel Geld verbrannt. Mit diesem Geld hätten viele Filme gedreht werden können. Es gibt natürlich Ausnahmen im amerikanischen Kino, siehe das alte Studiosystem, oder Cannon Films, oder Roger Corman (der Bürokratie hasst), oder wenn ein mächtiger Regisseur diesen Wahnsinn einfach übergeht (zum Beispiel Eastwood oder Lumet). Aber dieser Wahnsinn ist die Norm (auch außerhalb der Filmbranche). Drehbuchautor William Goldman hat das in seinem Klassiker Adventures In The Screen Trade (1983) genau beschrieben.

The Other Side of the Wind entstand außerhalb dieses Wahnsinns, ist aber Ausdruck eines erbitterten Kampfes dagegen. Dieser Kampf zeigt sich im ständigen Wechsel des Bildformats, der Körnigkeit und der Farbigkeit, oder darin, dass Oja Kodar in einer Szene von einem Shot zum nächsten sichtbar um Jahre altert. Welles musste über Jahre hinweg mit verschiedenen Kameras und Filmmaterial drehen, abhängig davon, was gerade verfügbar war und wie viel Geld er gerade hatte. Es gab kaum Crew oder Equipment. Kamerafahrten wurden gemacht, indem sich Kameramann Gary Graver an den Füßen über den Boden schleifen ließ. Im Schnitt versucht Welles gar nicht erst, die vielen so entstandenen Sprünge und Brüche zu kaschieren, um den Krampf, diesen Film zu drehen, spürbar zu machen. Er kontert den Wahnsinn der Filmindustrie mit einer eigenen Art von Wahnsinn. Allerdings weiß niemand, ob er den Film in dieser Form wirklich veröffentlicht hätte. Der Film ist, wie fast all seine Filme, eine Glaubensfrage. Ich glaube jedenfalls nicht, dass er die Musik von Michel Legrand so aufdringlich eingesetzt hätte. Das Happy End dieses legendären Films ist schließlich, dass Netflix (ein film- und publikumsfeindlicher Konzern) ihn nutzte, um sich als Retter der Kunst aufzuspielen.