Ähnelt der vorherigen Episode Firstborn. Hier lernt Picard von der Existenz seines Sohnes Jason, der schon 24 Jahre alt ist. Picard will Jason näher kennen lernen, muss aber erst mal lernen, ihm Raum zu geben. Joa… Schließlich stellt sich heraus, dass Jason doch nicht Picards Sohn ist. In Wahrheit hat ein Ferengi, der wegen einer früheren Sache auf Rache sinnt, die Gene Jasons picardisiert, um Picard in eine Falle zu locken. Er hat also einen Sohn für Picard erfunden, um diesen Sohn entführen und töten zu können, damit Picard traurig ist. Meh.
Tag: Familie
Eine Prime Directive-Folge mit Worf in der Hauptrolle, der nach langer Zeit seinen menschlichen Bruder wieder trifft, von dessen Existenz wir in dieser Folge zum ersten mal erfahren. Dieser Bruder heißt Rozhenko und lebt seit einiger Zeit auf Boraal II. Die Bevölkerung lebt noch auf vortechnischem Niveau. Rozhenko hat sich in einem Dorf eingelebt und tut vor der Bevölkerung wie ein normaler Bewohner. Problem: Der Planet stirbt, die Atmosphäre geht kaputt, alle Bewohner werden sterben. Rozhenko will die Bewohner retten, zumindest sein Dorf, und bittet die Enterprise, eine künstliche Biosphäre zu errichten. Doch Picard lehnt ab und zitiert die Prime Directive. Die Sternenflotte darf sich nicht in die Angelegenheiten anderer Völker einmischen, selbst wenn sie ein Massensterben verhindern könnte. So sitzt man nun also auf der Brücke und schaut zu, wie sich die Atmosphäre von Boraal II braun färbt und alle Planetenbewohner tötet. Kaltblütiger geht es kaum.
Rozhenko nutzt nun einen Plan B. Er beamt im Geheimen die Bewohner seines Dorfes aufs Holodeck, ohne dass die Bewohner das merken, denn auf dem Holodeck hat er bereits eine genaue Nachbildung ihrer Heimatwelt errichtet. So zwingt er die Enterprise und Captain Picard, einen anderen Planeten für die Dorfbewohner zu finden. Auf diesen Planeten sollen sie dann runter gebeamt werden, ohne dass sie merken, dass sie jemals auf einem Raumschiff waren. Natürlich läuft der Plan nicht ganz glatt, aber am Ende funktioniert es doch. Der Bart, den Worf als Boraalier verkleidet trägt, lässt ihn richtig warmherzig wirken.
Data lernt die Ehefrau von Doktor Noonian Soong kennen. Sie behauptet, dass sie an der Entwicklung von Data mitgewirkt hat, sieht sich als „Mutter“ und redet über seine Programmierung wie über Erziehung. Wenn Data sich in jungen Jahren falsch verhalten hat, haben die „Eltern“ ein Programm geschrieben, um das falsche Verhalten auszumerzen. Kindern treibt man gern ihre Persönlichkeit und ihre Interessen aus und ersetzt sie durch Gehorsamkeit. Wenn die Herstellung von Menschen im Reagenzglas irgendwann normal ist, wird Gehorsamkeit wohl schon in den Genen stecken.
Doktor Noonian Soong ist der Doktor Frankenstein von The Next Generation. Soong wollte sich mit seinen Androiden tatsächlich Kinder schaffen. Und als seine Frau starb, baute er seine Frau originalgetreu nach. Wie Inheritance zeigt, baute er sie nicht nur originalgetreu nach, sondern entsprechend des Ideals, das er von ihr hatte. Er pflanzte ihr sogar über-idyllische Erinnerungen an die gemeinsame Zeit ein.
TNG 4.2 – Family
Family ist der Epilog zu The Best of Both Worlds, in dem Picard seine Familie in Frankreich besucht, Wesley mit seinem toten Vater abschließt und Worfs Eltern ihn auf der Enterprise besuchen, was Worf natürlich erst nervt, aber später findet er es doch gut und die Eltern freuen sich. Die Konfrontation zwischen Picard und seinem Bruder ist uninteressant, aber irgendwie hat es mich doch ergriffen, wie er ihm unter Schlamm und Tränen gesteht, dass seine Zeit bei den Borg ihn gebrochen hat. Und der arme Riker wurde vom Captain wieder zum Ersten Offizier degradiert.
Diese Folge zeigt zunächst das Kräftemessen zwischen Riker und der Gastfigur Commander Shelby. Shelby möchte neue Nummer Eins unter Captain Picard werden. Riker wurde nämlich der Captain-Job auf einem anderen Schiff angeboten. Dass Shelby Riker gewachsen ist, sieht man daran, dass sie ihn beim Pokern besiegt. In Shelbys Ehrgeiz und Sturheit sieht Riker sich selbst. Insgeheim bewundert er sie dafür und betrauert den Verlust dieser Merkmale in sich.
Die extreme Spannung dieser Folge liegt nicht im Kampf gegen die Borg, sondern darin, dass hier Weichen gelegt werden, die langfristige Konsequenzen für die Serie haben könnten. Captain Picard könnte wirklich sterben und Riker könnte wirklich durch Shelby ersetzt werden. Die Folge verunsichert, indem sie die Konventionen einer TNG-Folge bricht. Zu TNG gehört zum Beispiel, dass Gastfiguren in einem kleinen Ritual vorgestellt werden: Sie werden auf die Enterprise gebeamt und im Transporterraum begrüßt. Das macht The Best of Both Worlds, Part 1 nicht. Commander Shelbys Auftritt ist nicht der einer Gastfigur, sondern sie ist von Beginn an da und verhält sich wie ein festes Mitglied der Crew. Das erzeugt den verunsichernden Eindruck, dass diese Folge nach neuen unbekannten Regeln spielt.
Diese Art der Verunsicherung ist ein Merkmal des Postmodernismus. Ich habe nur eine vage Ahnung vom Postmodernismus, aber er scheint mir im Zusammenhang mit dieser Folge eine fruchtbare Perspektive zu sein. Ich will zunächst kurz sagen, was ich unter dem Begriff verstehe: Das Ende des Zweiten Weltkriegs führte nicht, wie viele gehofft hatten, zum Wiederaufbau der Normalität, sondern in den Kalten Krieg, die nukleare Gefahr, den Konflikt zwischen Israel und Palästina, zu immer undurchsichtigeren Eigentumsverhältnissen und so weiter. Diese neuen kaum lösbaren Probleme schufen ein Gefühl der Verunsicherung, die sich seitdem in vielen Erzählungen der Popkultur spiegelt, in offenen Enden, nicht-linearen Erzählstrukturen, Ironie, Verwischung von Gut und Böse, Intertextualität. Captain Picard sieht den Zweiten Weltkrieg genau umgekehrt, nicht als Treiber der Postmoderne, sondern als Treiber der Moderne. In Manhunt schwärmt er vom Zweiten Weltkrieg, da durch ihn viele tolle Raketensysteme entwickelt wurden, die Basis der Raumfahrt.
Auch Gene Roddenberry war Gegner des Postmodernismus. Er wollte eine aufgeklärte moderne Welt, in der es für jedes Problem eine Lösung gibt. Doch schon in der ersten TNG-Folge, Encounter at Farpoint, kommt es zur Störung, und zwar durch Q, der zwei postmoderne Werkzeuge nutzt: Rätsel und Ironie. Qs Botschaft ist: Ihr denkt, ihr wisst alles, aber in Wahrheit wisst ihr nichts. In Q Who zeigt Q der Enterprise-Crew die Borg. Die Postmoderne tritt hier in Form einer extrem bedrohlichen Spezies auf. Die Borg sind nicht bedrohlich, weil sie die Enterprise allein mit ihren Ohrläppchen zerstören könnten, sondern weil sie eine Gefahr sind für die Besänftigungs-Logik von Fernsehserien. Q Who war die erste TNG-Folge ohne Auflösung, ohne Gewinner und Verlierer.
Nun sind die Borg in The Best of Both Worlds, Part 1 zurück. Picard steht mit dem Rücken zum Bildschirm, hinter ihm der Borg-Kubus, und er sagt: We have engaged the Borg. Dieser Moment wurde geschrieben als Promo-Material für die Vorschau und als guter Moment, um in die Werbung zu gehen. Erzählerisch ist dieser Satz unnötig, da wir bereits wissen, dass die Borg da sind. Dennoch liegt hierin eine besondere Spannung, und ich denke, dass das etwas mit der kritischen Haltung zu tun hat, die TNG zum Postmodernismus einnimmt.
Picard sagt: We have engaged the Borg. Dabei könnte man den Satz umdrehen: The Borg have engaged us. Picard beschreibt nicht objektiv die Situation, sondern er macht eine Deklaration. Nach John R. Searle [in Making the Social World: The Structure of Human Civilization (2010)] ist eine Deklaration die Erfindung eines Faktes durch simple Behauptung. So funktioniert Kolonialismus. Die Eroberer betreten das Land und sagen: Dieses Land gehört uns. Sie behaupten einen Fakt und gründen darauf ihr Recht, diesen Fakt materiell umzusetzen. So funktioniert auch Besitz in unserem Alltag. Wenn ich eine Ware in den Einkaufswagen lege, dann deklariere ich so diese Ware für mich. Dieser nun entstandene Besitz ist reine Behauptung, aber wir haben uns gemäß der zivilen Ordnung darauf geeinigt, dass Deklarationen Tatsachen schaffen. Wenn Picard also deklariert, We have engaged the Borg, dann ist das nicht einfach ein ikonischer Spruch, sondern eine Deklaration der Macht der Sternenflotte, die Borg zu stellen, anstatt von den Borg gestellt zu werden. Die Deklaration ist ein Werkzeug der Moderne, denn mit ihr lassen sich Dinge klar festschreiben. Der Postmodernismus lehnt die Gültigkeit von Deklarationen ab, aber nicht, um die Moderne zu kritisieren, sondern um die Verunsicherung durch die Komplexitäten der Welt zu ästhetisieren und zu ironisieren. So entführen die Borg Picard, assimilieren ihn, nennen ihn Locutus und lassen ihn nun im Namen der Borg Deklarationen aussprechen, zum Beispiel: Widerstand ist zwecklos.
Captain Picard, ein Symbol geistiger Klarheit, Stärke und Sicherheit, ist jetzt ein aus verschiedensten Bausteinen zusammen gesetztes Ding mit Laserpointer an der Schläfe. Picards Assimilation hinterlässt eine verunsicherte Crew, die Enterprise ist jetzt ein postmoderner Ort. Die Folge entspricht damit der Kritik am Postmodernismus, nach der der Postmodernismus (zugespitzt) die Vernunft verhöhnt.