In Tenet geht es um eine Superwaffe, die es möglich macht, rückwärts durch die Zeit zu laufen. Betonung liegt auf Laufen, denn es ist kein Sprung hin zu einem bestimmten Punkt in der Zeit, sondern man läuft tatsächlich in der Zeit rückwärts, also gegen den Vorwärtsgang der Zeit. Das ist, als würde man eine Rolltreppe, die runter fährt, hoch laufen. Oder als würde man diesen Text hier rückwärts lesen. Oder als würde man vorwärts durch einen Film laufen, der rückwärts abgespielt wird.
Diese High Concept-Idee ist eingewoben in eine James Bond-Handlung: Ein russicher Bösi (Kenneth Branagh), der ein Bondgirl (Elizabeth Debicki) gefangen hält, will mit besagter Superwaffe die Welt zerstören. Der Held (John David Washington), ein superkrasser Geheimagent, muss das verhindern und zugleich das Bondgirl retten. Dabei spielen alle ein doppeltes Spiel und jeder Plan ist in Wahrheit nur Tarnung für den wahren Plan, der aber auch nur Tarnung für einen noch wahreren Plan ist, und so weiter. Ab der Mitte hab ich nichts mehr verstanden, trotz ständiger Erklär-Dialoge. Ich weiß nur, dass der Film will, dass wir wissen, dass die Männer maximal potent sind, mit teuren Anzügen und BMW. Es gibt auch Frauen in dem Film, drei Stück: Eine erklärt die Grundlagen von Tenet (danach ist sie weg), die zweite ist eine Matriarchin (klar, die muss auch weg), und die dritte ist das Bondgirl. Sie muss gerettet werden, denn sie ist Mutter. Dem Film ist sehr wichtig, dass wir das nicht vergessen. Ein mal erklärt jemand (mal wieder), dass die gesamte Menschheit auf dem Spiel steht, darauf sagt Bondgirl „including my son“. Zudem zeigt der Film Bondgirl mehrfach bei der Ausübung ihrer höchsten Mutterpflicht, nämlich Sohn-von-Schule-Abholen. Was auch das Schlussbild des Films ist. Gerettete Welt, gerettete Mutterpflicht.
Der Spaß des Films versteckt sich in den Szenen, in denen man nichts versteht. Zum Beispiel fährt ein Auto auf der Gegenfahrbahn, und die entgegen kommenden Autos fahren rückwärts, weil wir gerade rückwärts durch die Zeit fahren, während der Held aus einem rückwärts aber eigentlich vorwärts fahrenden Auto beschossen wird, wobei die Kugeln rückwärts fliegen aber eigentlich auch vorwärts, während er einen wichtigen Koffer rückwärts und zugleich vorwärts klauen muss und irgendwie so. In diesen „invertierten“ Actionszenen zerreißt Tenet die Standards des Actionkinos (Verfolgungen, Schießereien, Prügeleien) und näht sie danach nicht wieder zusammen. Die Bewegungen haben keinen Anfang und kein Ende, vorwärts und rückwärts verschmelzen. Das macht den Film sehenswert. Zugleich ist die Action miserabel gemacht. In den Schießereien weiß man nie, wer wo ist. Die Verfolgungsjagden wirken nie schnell und gefährlich. Die Kampf-Choreografien sind wirres Gefuchtel ohne Gefühl für Rhythmus oder für die Ausdruckskraft von Kampfposen. Es ist eine Bilderflut, die verwirrt, fasziniert und erdrückt, die aber kaum mitreißt oder etwas Spannendes erzählt.
Christopher Nolan sollte besser Produzent sein. Es gingen schon viele seiner guten Ideen an sein Regietalent verloren. Er erzählt Tenet komplett in Dialogen. Die Kamera ist nur dazu da, die Dialoge zu filmen. Manchmal fährt sie dabei an die Schauspieler heran und manchmal fährt sie seitwärts. Spielt der Dialog an einem hübschen Ort, steigt Nolan in den Hubschrauber und macht davon eine Postkarten-Aufnahme. Nolans Kamera ist rein dekorativ, sie zeigt uns keine entlarvenden Blicke oder verborgenen Gefühle. Die ganze Zeit läuft Musik, dröhnend, wabernd, wummernd, stampfend. Je lauter die Musik, desto schlechter der Dialog. In den Dialogen wird entweder etwas erklärt oder es wird ein Plan verhandelt. Daraus folgt manchmal eine Actionszene, die das in den Dialogen Gesagte einfach nur illustriert. Beispiel: Die LKW-Sandwich-Sequenz. Hier geschieht nichts. Der Held klettert in voller Fahrt über die Leiter eines Feuerwehrwagens auf ein LKW-Dach, ohne Probleme. Das könnte eine Szene über jemanden sein, der sich in Todesangst an eine Leiter klammert, sie könnte ein unvergessliches Action-Setpiece sein. Aber Nolan verbietet jede Abschweifung, nichts darf seinem miefigen Plot in die Quere kommen, denn die Uhren an den Handgelenken der GQ-Coverboys ticken teuer. Die wenigen Szenen, die der Film auskostet, sind interessanterweise die, die Bondgirl der Gewalt ihres Mannes ausliefern.