Data baut sich eine Tochter namens Lal. Er will ihr ein Vater sein und sie will sich in die menschliche Gesellschaft einfügen. Das ist an sich schon schwierig genug, aber darüber hinaus will die Sternenflotte Lal für ihre Untersuchungen von der Enterprise runter befehlen, weg von Data, ihrer einzigen Bezugsperson. Lal bekommt nun, ungewöhnlich für eine Androidin, Angst. Das führt zu einer furchteinflößenden Szene, in der sie sich selbst immer wieder mit den Fingerspitzen gegen den Brustkorb hämmert, als wollte sie die Angst weg hämmern.
Die Serie erklärt in technischem Jargon, warum Lal mit ihren Gefühlen nicht weiter leben kann. Ihre Gefühle sind eine Fehlfunktion. Data will diese Fehlfunktion um jeden Preis beheben und Lal selbst will lieber gar nicht leben als Gefühle erleben zu müssen. Also schraubt Data ihren Kopf auf und operiert darin herum. Wenn wir die Vater-Tochter-Metapher der Folge ernst nehmen, sehen wir hier einen Vater, der seine suizidale Tochter lobotomiert.
Lobotomien waren von den späten Dreißigern bis in die Siebziger eine weltweit angewandte Methode zur „Heilung“ psychischer „Krankheiten“. Aus meiner Laiensicht funktionieren Lobotomien so, dass der Teil des Gehirns, der für die Aufnahme von Sinneseindrücken verantwortlich ist, von dem Teil des Gehirns getrennt wird, der für die Verarbeitung von Sinneseindrücken verantwortlich ist. Durch diese Trennung können Sinneseindrücke also nicht mehr verarbeitet werden und somit auch keine Gefühle mehr auslösen, was das Ziel einer Lobotomie ist. Es soll Lobotomie-Überlebende gegeben haben (und immer noch geben), die sich nach der Lobotomie ausgeglichener fühlten. Manche fühlten sich nicht groß anders. Die meisten wurden Pflegefälle.
Berühmt ist der Fall von Rosemary Kennedy, Tochter von Joseph und Rose Kennedy und Schwester von Präsident John F. Kennedy. Vater Joseph wollte all seine Kinder im politischen Zirkus auftreten lassen. Rosemary sollte dabei ihren Politiker-Brüdern auf Banketten eine hübsche Dekoration zu sein. Doch sie ging lieber in die Oper oder zu Pferderennen oder hing mit Freunden rum. Deshalb galt sie in der Familie als „eigensinnig“ und machte ihren Eltern große Sorgen. Was werden nur „die Leute“ sagen?
Also ging Vater Joseph eines Tages mit Rosemary zu Walter Freeman, dem Erfinder der transorbitalen Lobotomie. Bei dieser Lobotomie-Methode wird eine Art Eispickel durch die Augenhöhlen gestochen, ein paar Mal im Hirn herum gedreht und dann wieder herausgezogen. Das geht im Vergleich zur aufwändigeren präfrontalen Lobotomie ziemlich schnell und wurde von Freeman mehrere tausend Male durchgeführt. So auch an Rosemary. Freeman lobotomierte sie einfach so, ohne ihr das vorher zu sagen. Das war 1941. Rosemary war 23 Jahre alt. Sie konnte jetzt nicht mehr sprechen, gehen, war inkontinent, ein Pflegefall. Vater Joseph brachte sie in einem Kloster unter, wo er sie nie wieder besuchte. Die Kennedy-Familie leugnete Rosemarys Existenz bis ins Jahr 1960.
Lobotomien wurden vor allem genutzt, um Frauen zu zähmen, die sich nicht wie brave Hausfrauen verhielten. Schnell wurde klar, dass Lobotomie eher schlecht ist, also erfand man neue Wege zur Frauenzähmung, zum Beispiel Medikamente und einige Formen der Psychotherapie. Zu diesem Thema empfehle ich Ira Levins Roman The Stepford Wives (1972) und auch dessen Verfilmung von 1975. In dieser Geschichte werden Ehefrauen durch Haushalts-, Mutter- und Sex-Roboter ersetzt, die genauso aussehen wie sie. Was ziemlich genau das ist, was Lobotomien, Medikamente und Therapien aus Frauen machen sollten. Für weitere Infos hierzu empfehle ich die Stepford Wives-Folge des Podcasts You’re Wrong About, wo auch nicht-fiktionale Bücher zum Thema empfohlen werden.
Neben Frauen wurden Lobotomien auch häufig an Kindern durchgeführt, die hyperaktiv waren oder sonstwie „störten“. Und jetzt führt auch Data eine Lobotomie an seiner Tochter durch, weil sie Gefühle hat. Die Serie gesteht Lal zu keiner Zeit eine Existenz mit Gefühlen zu. Vielleicht hätte sie lernen können, mit Gefühlen umzugehen. Sicher hätte die Serie dafür eine technische Erklärung gefunden.
The Offspring ist ein aufwühlendes Stück Fernsehen und neben Q Who die fokussierteste TNG-Folge, die ich bisher gesehen habe. Keine langweiligen Nebenplots, kein überflüssiges Geplänkel. Die Folge ist hundertprozentig auf Lal konzentriert.
Hallie Todd als Lal gibt die wohl beste Schauspielleistung in der gesamten Serie. Besonders rührend ist ihr Gang, bei dem sie die Arme immer etwas voraus hält, als hätte sie Angst, vornüber zu kippen. Auf den ersten Blick sieht es wie ein Klischee-Robotergang aus, aber Todd spielt hier keinen Robotor, sondern eine instabile Teenagerin, die einsam ist und ohne Halt und umschwemmt von den Erwartungen ihres Umfelds.
Besonders tragisch ist die Szene, in der Lal möchte, dass sie und Data Händchen halten. Sie hat nämlich gelernt, dass dies bei Menschen ein Ausdruck von Zuneigung ist und möchte Data so ihre Zuneigung ausdrücken. Tragisch ist das, weil Data am Ende, statt sie zu lobotomieren, vielleicht einfach ihre Hand hätte halten müssen, um ihr gegen die Angst ein Gefühl von Sicherheit zu geben. Aber Data ist eine gefühllose Maschine ohne Empathie, er kommt nicht darauf. Stattdessen will er Lals Gefühle mit Technik „lösen“ und deshalb ist sie jetzt tot.