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Essay Star Trek: The Next Generation

Rape Culture – TNG 3.14 – A Matter of Perspective

Ich schreibe seit einem viertel Jahr jeden Tag über eine Folge The Next Generation. Dabei habe ich den Sexismus der Serie immer wieder angesprochen (siehe Encounter At Farpoint, Angel One oder The Child). Ich hätte dabei deutlicher sein können, denn TNG zelebriert Rape Culture. Das zeigt sich vor allem in der Figur des Commander Riker, dessen Frauenverachtung in der Serie als Running Gag funktioniert.

In dieser Folge wird Riker der Vergewaltigung beschuldigt. Es ist nur ein kurzer Moment, der mit dem Rest der Folge nichts zu tun hat, aber genau das sagt viel über die Serie aus. Nachdem der Vorwurf ausgesprochen ist (visualisiert durch eine Holodeck-Simulation), glotzen alle schockiert in die Kamera, sagen, dass Riker so etwas nie tun würde und reden nicht mehr drüber. Die restliche Folge schweigt über diese Beschuldigung.

Da A Matter of Perspective das Thema Vergewaltigung totschweigt, nutze ich die Gelegenheit, um über die Vergewaltigung von Grace Lee Whitney zu sprechen. Diese Vergewaltigung wird von großen Teilen der Star Trek-Community ebenfalls totgeschwiegen. Grace Lee Whitney spielte in den ersten dreizehn Folgen der Originalserie aus den Sechszigern mit. Sie spielt Yeoman Janice Rand (Yeoman ist in der Navy so eine Art Maat). Whitney schrieb in ihrer Autobiographie The Longest Trek: My Tour of the Galaxy (1998) über ihre Vergewaltigung und wie diese dazu führte, dass sie bei Star Trek aufhören musste. Whitney bezeichnet ihren Vergewaltiger nur als den „Executive“. Sie nennt seinen Namen nicht, aber seine sehr hohe Machtposition und viele Aspekte ihrer Erzählung zeigen deutlich auf Star Trek-Erfinder Gene Roddenberry.

Eines Nachts war Whitney gerade auf dem Weg von der Toilette zurück zu einer Star Trek-Produktionsparty. Auf dem Weg sprach der Executive sie an. Er erzählte ihr, dass er plane, ihre Rolle weiter zu entwickeln und bot ihr ein Vieraugen-Gespräch an. Whitney war neugierig, denn sie spielte in der Serie nur eine Nebenrolle. So ließ sie sich von ihm in ein leeres Büro in einem leeren Produktionsgebäude führen. Hier nun ein Abschnitt aus ihrem Buch (von mir ins Deutsche übersetzt [das Buch ist sehr gut und gibt’s günstig zu kaufen, einen längeren Auszug im englischen Original findet man hier]):

Das Büro hatte eine Bar. Er ging hinüber und machte uns Drinks, ohne zu fragen, ob ich überhaupt einen wollte. Er wusste, dass ich einen wollte. Er gab mir das Glas, dann setzte er sich hinter den Schreibtisch.
Wir sprachen. Und wir lachten. Und wir tranken.
Er erzählte mir von kommenden Drehbüchern und schlug vor, eine stärkere Beziehung zwischen Yeoman Rand und Captain Kirk zu schaffen. Er versetzte sich selbst in Kirk und sagte: „Jetzt bin ich der Captain und du bist die Yeoman. Was würde in dieser Situation Rand zu Kirk sagen? Versetz dich in die Rolle. Schütte mir dein Herz aus.“ Und wir begannen ein Rollenspiel, das ziemlich sexy war, aber nur über den Schreibtisch hinweg, drei Meter voneinander entfernt. Für mich war das bloße Improvisation mit den Charakteren, um die Kirk-Rand-Beziehung auf Story-Möglichkeiten hin zu erforschen. Später begriff ich, dass das alles Teil seiner sorgfältigen Strategie war.
„Weißt du“, sagte er, nachdem wir eine Weile gesprochen hatten, „das Faszinierende an Janice Rand ist ihre unterdrückte Begierde, ihr Hunger nach Sex.“
„Nicht Sex“, sagte ich. „Liebe. Sie liebt den Captain.“
„Das ist dasselbe“, sagte der Executive. „Sie will den Captain unbedingt, aber sie unterdrückt es. Sie gibt es nicht zu, nicht einmal gegenüber sich selbst. Wir wissen alle, was sie wirklich will, aber sie selbst weiß es nicht. Sie leugnet es. Janice Rand kann sich ihren eigenen Begierden, ihrer eigenen Sexualität nicht stellen.“
„Absolut“, sagte ich. „Das ist der Schlüssel zu dem Charakter.“
„Und du bist genau wie Janice Rand.“
„Ich bin… was? Was hast du gesagt?“ Mir war nebulös bewusst, dass unsere Diskussion eine scharfe Wende genommen hatte. Aber das Schwirren in meinem Kopf hinderte mich daran, die genaue Richtung zu erkennen, die der Executive eingeschlagen hatte.
„Du bist hungrig innen“, sagte er, „genau wie Janice Rand. Hungrig, geil, voller Begierde. Aber du unterdrückst es. Du hältst es zurück. Das ist nicht gesund, Grace.“
Keine Sirenen, keine Warnglocken. Ich lachte nur, lehnte mich zurück und antwortete selbstgefällig: „Ich halte gar nichts zurück. Wenn es jemanden gibt, der komplett ungehemmt ist, dann bin ich das.“
„Aha?“, sagte er. „Tja, gut, dann. Lass doch mal sehen, wie ungehemmt du bist. Zieh dich aus.“
„Was?“ Ich lachte. „Du machst Witze!“
Der Executive stand auf, kam um den Tisch und baute sich neben mir auf.

Whitney versuchte zu fliehen und schaffte es in einen Konferenzraum nebenan, der aber keine zweite Tür hatte. Der Executive kam ihr nach und schloss den Raum von innen ab.

Ich versuchte zu tun, was er wollte, damit ich es hinter mich bringen konnte. Tief in mir drin wusste ich, dass ich mit Star Trek abgeschlossen hatte. In diesem Moment war mir das aber egal. Nichts zählte, weder die zerstörte Idylle, noch meine Karriere, noch meine Rolle in Star Trek. Das einzige, was zählte, war, lebend aus diesen Raum heraus zu kommen.
Aber er ließ mich nicht runter vom Tisch. Er wurde nicht erregt und das machte ihn noch bedrohlicher. „Komm schon!“, verlangte er. „Du musst die Sexbombe sein! Sorg dafür, dass ich dich will! Komm schon!“ Ich wusste nicht, warum er nicht erregt wurde, ich versuchte es. Ich versuchte es wirklich. War es, weil er zu viel getrunken hatte? Oder weil ich zu lang mit ihm gestritten hatte und er jetzt zu wütend war, um erregt zu sein? Oder weil er zu viele Frauen gehabt hatte und jetzt keinen mehr hochbekam? Oder…
Oder war ich es? War etwas an mir falsch? War ich, nachdem ich auf den Tisch gestiegen und getanzt hatte, einfach eine Enttäuschung für ihn?
„Bitte“, flehte ich. „Lass mich runter. Lass mich raus hier. Bitte.“
Er grunzte angewidert. „Na gut!“, sagte er bitter. „Komm runter!“
Ich stieg vom Tisch.
„Aber“, fügte er hinzu, während er sich auf dem Sofa zurücklehnte, „wir sind noch nicht fertig. Wenn wir fertig sind, kannst du gehen. Komm her.“

Um frei zu kommen, musste Whitney den Executive oral befriedigen. Direkt danach ging sie zu Spock-Darsteller Leonard Nimoy nach Hause und erzählte ihm alles. Nimoy war ihr einziger Vertrauter. Am nächsten Tag am Star Trek-Set saß Whitney gerade in der Maske. Da kam der Executive zu ihr und schenkte ihr einen Stein, den er, wie er sagte, für sie poliert hatte. Man beachte die psychoanalytische Symbolik: Ein Mann schenkt einer Frau ein hartes Objekt, an dem er lang gerubbelt hat. Whitney bedankte sich. Gene Roddenberry war bekannt für sein Hobby des Steinepolierens.

Ich ging durch den Rest des Tages mit dem Gefühl, mir in den Fuß geschossen zu haben – nein, in beide Füße. In Hollywood voran zu kommen, bedeutet zu wissen, wer die Macht hat, dann einen Weg zu finden, dieser Macht nahe zu kommen und dann, mit dieser Macht ins Bett zu steigen. Ich hatte es abgelehnt, mit der Macht ins Bett zu steigen. Das mag moralisch richtig gewesen sein, aber es war taktisch dumm. […] Denn am Ende hatte mich dieser Mann genauso verletzt und ausgebeutet, wie wenn ich mitgespielt hätte, nur hatte ich jetzt nicht mal einen Karriere-Fortschritt vorzuweisen. Schlechter Zug, Whitney, dachte ich. Das hast du dir mal wieder selbst eingebrockt.

Eine Woche später erhielt sie einen Anruf von ihrem Agenten Alexis Brewis:

„Tja”, sagte Alex, „mir wurde gesagt, es ist eine kreative Entscheidung. Die Produzenten finden, dass die romantische Beziehung zwischen Kirk und Rand ein bisschen zu offensichtlich wird, und dass das die Story-Möglichkeiten begrenzt. Anscheinend finden sie, dass Captain Kirk die Freiheit haben sollte, Affären mit anderen Frauen auf all den verschiedenen Planeten zu haben. Wenn die Beziehung zwischen Kirk und Rand zu intensiv ist, sieht das so aus, als sei er untreu gegenüber Janice Rand. Die Zuschauer würden wütend auf Kirk werden und abschalten. Das ist zumindest das, was sie mir erzählen.“

Somit wurde Grace Lee Whitneys Vertrag nach dreizehn Folgen nicht verlängert. Auf Wikipedia steht, dass er wegen ihres Alkoholismus nicht verlängert wurde. Kein Wort von der Vergewaltigung und dem Executive. Sie wollte seinen Namen nie nennen, weil sie aufgrund ihres Glaubens niemandem weh tun wollte, auch nicht denen, die ihr weh getan haben.

Roddenberrys Frauenhass ist in der Originalserie klar zu sehen. Frauen sind nur zum Begaffen und Belästigen da. Auf der Enterprise unter Captain Kirk gehörten sexuelle Belästigung und ständige Vergewaltigungsgefahr zur Betriebskultur. Dies war wahrscheinlich ein genauer Spiegel der Produktionsbedingungen der Serie. William Shatner schrieb in seiner Autobiographie, dass Whitney zwei Mal vergewaltigt wurde, ein Mal vom Executive, ein anderes Mal von einem prominenten Mitglied des Casts. Roddenberry wollte, dass Frauen größere Rollen bekamen, aber in Machtpositionen wollte er sie nicht. Leonard Nimoy hat überliefert, dass Roddenberry mal in einem Production Meeting sagte: „Man darf eine Frau niemals wirklich an Macht kommen lassen. Alle Frauen sind Fotzen, man kann ihnen nicht trauen.“ [Gene Roddenberry: The Myth and the Man Behind Star Trek (1994) von Joel Engel]

Man könnte nun sagen, das war in den Sechszigern. Doch Denise Crosby (Lieutenant Tasha Yar), Gates McFadden (Doktor Beverly Crusher) und Marina Sirtis (Counselor Deanna Troi) haben den Sexismus der Produzenten und Autoren von TNG in verschiedenen Interviews immer wieder kritisiert. Crosby und McFadden stiegen am Ende der ersten Staffel aus. Sirtis stand es durch, immer in der Hoffnung auf eine größere Rolle in einer der Folgen. In einem Interview sagte sie, dass die Produzenten mit ihr nur über ihr Aussehen sprachen, über ihren Lippenstift und über ihre Haare, aber nie über ihre Rolle. Roddenberry wollte Counselor Troi ursprünglich sogar vier Brüste verpassen. Wäre das nicht so unpraktisch, hätte er es sicher gemacht.

Auch als Fan von etwas muss man eine kritische Perspektive einnehmen, vor allem wenn dieses Etwas von so großer kultureller Bedeutung ist wie TNG. Mit sich ändernden Perspektiven ändern sich auch die Fragen, die wir an Werke richten, um sie und ihre Bedeutung neu und tiefgründiger zu verstehen. In einem Interview über die kritische Auseinandersetzung mit David Foster Wallace nach MeToo sagte die Literaturwissenschaftlerin Clare Hayes-Brady:

Wallace war ein enorm talentierter Autor. Ob man Fan ist oder nicht, es lässt sich nicht bestreiten, dass er sehr wichtig für seine Generation war. Aber man kann sein Leben als Kritiker nicht nur damit verbringen, darüber zu reden wie großartig jemand ist. Wie jeder Autor hat auch er Schwächen, sowohl technische als auch moralische oder ethische. Der Backlash [gegen Wallace] war also wirklich wichtig und hat der Wallace-Forschung neues Leben eingehaucht. Wir haben etabliert, dass er wichtig war. Jetzt lasst uns über das reden, was nicht so gut ist. Und viel davon kommt aus einer ethischen Perspektive.

Man kann von TNG viel über Rape Culture und latenten Frauenhass lernen. Die Serie ist bevölkert von Enablern und Bystandern und geprägt von einer Geschlechterpolitik, die Frauen als „das Andere” sieht (zum Beispiel wenn der Auftritt einer dezidiert „schönen” Frau mit einem Glitzergeräusch untermalt wird). Während Männer eben der Status Quo sind, mit all ihren männlichen Eigenschaften, zu denen eben auch gehört, Frauen lüstern zu begaffen. Die Boys-will-be-boys-Mentalität wird in einer der ersten Folgen, The Last Outpost, sogar ausgesprochen, natürlich von Commander Riker.

Frauen spielen in TNG meistens die Versorgerrolle, die sich um die schaltenden und waltenden Männer zu kümmern haben. Counselor Troi ist Therapeutin, ihr Lächeln ist zum Aufmuntern da. Doktor Crusher ist Ärztin und „liebende Mutter”. Guinan ist weise Ratgeberin und dass sie schwarz ist, darf man nicht verschweigen, denn mit ihrer Weisheit, ihren leicht übersinnlichen Fähigkeiten und ihrer mystischen Aura ist sie ein magical negro. Ist eine Frau mal nicht kümmernd und sorgend und liebend und lächelnd, wie zum Beispiel Tasha Yar, dann weiß die Serie nicht viel mit ihr anzufangen, stellt ihre Persönlichkeit als unweiblich heraus, zeigt abschätzige Blickwechsel zwischen männlichen Crewmitgliedern und auf Dialogebene fallen Wörter wie „unusual”. So zelebriert TNG eine Kultur, in der Frauen vor allem für Männer existieren und Männer von der Verantwortung für ihren Umgang mit Frauen freigesprochen sind. Die Ignorierung der Vergewaltigungs-Anschuldigung in A Matter of Perspective ist hierfür das deutlichste Beispiel.

In The Child findet sogar on screen eine Vergewaltigung statt: Eine Lichtkugel dringt in Counselor Troi ein während sie schläft und schwängert sie. Die Serie erwähnt nicht, dass dies eine Vergewaltigung ist. Stattdessen lädt die Serie die Vergewaltigung esoterisch auf, denn sie wird von einem göttlichen Lichtwesen ausgeführt, dem die Serie eine Erlaubnis erteilt.

Captain Picard ist ein Enabler, der sich hinter seinen Sternenflottenpflichten und seiner wissenschaftlichen Neugier versteckt. So muss er keine Verantwortung für einen Commander Riker übernehmen, der mit gierigen Blicken, dummen Witzen, „versehentlichen” Berührungen und gelegentlich auch körperlichen Übergriffen die ihm untergebenen Frauen wahrscheinlich täglich in unangenehme und traumatische Situationen bringt. Man muss bedenken: Diese Frauen sind an diesem Arbeitsplatz, der Enterprise, gefangen. Sie können nicht nach Hause gehen. Sie sind ganze Sternensysteme von ihrem Zuhause entfernt. Sie haben nur Kollegen, die genauso den hierarchischen Zwängen der Sternenflotte unterworfen sind. Betriebsräte, Gewerkschaften, Presse, Polizei, das gibt es auf der Enterprise nicht. Picard ist der Chef. An ihn sollte man sich wenden können. Doch Picard ist ein extremer Narzisst, besessen von seinem Image als Captain und vom Image der Enterprise als Vorzeige-Raumschiff. Wahrscheinlich verbringt Picard die meiste Zeit in seinem Ready Room damit, seine theatralischen Schlussmonologe zu proben. Diese Art Chef ist weit verbreitet. Gibt sich vertrauenswürdig und klug, doch von sexueller Belästigung und übergriffigem Verhalten in seiner Arbeitsstätte will er nichts wissen.

Angesichts dieser bedrohlichen und ausweglosen Atmosphäre, die die Enterprise in TNG beherrscht, könnte man sich entscheiden, die Serie einfach nicht zu schauen, so wie viele die Filme von Roman Polanski nicht schauen oder die Bücher von David Foster Wallace nicht lesen. Im oben erwähnten Interview über Wallace sagt Clare Hayes-Brady, dass man diese Entscheidung entweder als Leser oder als Kritiker treffen kann:

Als Leser ist die Entscheidung, einen Autor nicht zu lesen, aus welchen Gründen auch immer, absolut berechtigt. Aber mir ist aufgefallen, dass [auch] manche Kritiker und Wissenschaftler Wallace nicht mehr behandeln wollen.
[…]
Dies scheint mir keine berechtigte kritische Geste zu sein. Wenn man in der glücklichen Situation ist, seinen eigenen Lehrplan zu erstellen, dann bemerkt niemand, wenn man einen Autor raus lässt. Inklusion kann radikal sein, aber einen Autor nicht zu behandeln, ist keine sichtbare kritische Geste. Außer man hat vor, über die Gründe zu sprechen, wegen denen man ihn nicht behandelt. In diesem Fall kann man ihn aber genauso gut auch einfach behandeln.